Nicole R.
Mein Name ist Nicole und ich bin 48 Jahre alt.

Den letzten Gutachter, den ich durchgebracht habe, konfrontierte mich mit den Worten „mal ehrlich, Frau Rauch, was haben sie denn noch groß vom Leben zu erwarten außer ein Leben auf der Toilette? Das Beste wäre den Dickdarm komplett raus, einen vorübergehenden Dünndarmausgang (Ileostoma) für drei Monate, eine Pouchanlage und danach die Rückverlegung.“ Zu dem Zeitpunkt war ich 38 Jahre und hatte 5 Jahre Dauerschub mit all seinen Facetten hinter mir. Mein erster Gedanke war, der hat doch nicht alle Latten am Zaun! Das kann ich machen, wenn ich alt bin. Aber er hatte im Grunde das ausgesprochen, was ich damals in den letzten 5 Jahren oft gedacht habe. Neben dem „gefesselt sein auf der Keramik“ begleiteten mich sämtliche andere Symptome, die eine CED ausmachen. So entstand über die Zeit für mich ein irrsinniger energieraubender Spagat zwischen dem häuslich eingerichtet sein auf der Keramik und dem Aufrechthalten einer normalen Fassade nach außen.
Gesagt, getan … mein Gastroenterologe organisierte in kürzester Zeit einen Termin im Krankenhaus zur Vorbesprechung. Des Weiteren stand ein Termin mit meiner zukünftigen Stomatherapeutin an. Dieses Gespräch war geprägt von Verboten und Verzicht vieler Sportarten und Lebensmitteln. Definitiv nicht vereinbar mit meinen Vorstellungen vom neuen Lebensabschnitt. Für mich war nach diesem Gespräch klar, dass ich die erste jüngste Tütchenfee auf diesem Erdball sein werde, die sich über all diese vermeintlichen Verbote und Einschränkungen einfach hinwegsetzen und beweisen wird, dass es auch anders geht. Vor der Operation entstand neben dem Leitfaden „Was passiert, wenn ich nicht mehr die Äuglein aufmachen sollte“ für meine Eltern, eine persönliche „To-do-Liste für das Leben danach“ für mich. Irgendeine der beiden Listen würde danach schon zum Einsatz kommen.
In der folgenden Anschlussheilbehandlung wurde ich zum Glück jedoch schnell eines Besseren belehrt …, dass ich eben nicht die jüngste Bauchrosettenträgerin bin und das auch weiterhin vieles wieder möglich ist, was vorher undenkbar war. Es braucht dabei verdammt viel Zeit, Geduld und auch Mut etwas Neues auszuprobieren. Geduld ist jedoch etwas, dass definitiv nicht zu meinen Königsdisziplinen gehört.
In den nunmehr fast 10 Jahren Tütchenfee-Leben habe ich mir mein Leben so Stück für Stück zurückerobern können und dies hält bis heute an. Meine damalige entstandene To-do-Liste ist dabei über die Jahre zu einer sogenannten lebendigen Liste geworden, die stetig mit neuen Zielen/Herausforderungen gefüttert wird.
Natürlich sind die fast 10 Jahre Tütchenfee-Leben nicht immer geprägt gewesen von Glitzer, rosa Schmetterlingen, lila Einhörnern und dem ganzen Klimbim, sondern mich haben dabei auch einige Tiefs und Rückschlägen begleitet. Aber ich habe gelernt, dass man aus einer Krise durchaus gestärkt rauskommen kann. Und so bin ich megadankbar für diese zweite Chance und genieße das Leben auf meine Weise. Mein heutiger Spagat besteht zwischen dem Leben auf einer autofreien Insel und dem Leben in meinem Wohnmobil immer mit dem einen Ziel möglichst viel draußen in der Natur und vor allem in Bewegung zu sein.
Meine neueste Herausforderung wird mein Masterstudium sein und das am besten von unterwegs aus.
Was das Leben noch bereit hält, … weiß ich nicht. Jedoch eines weiß ich definitiv …, dass Leben ist nicht immer planbar, denn oft kommt es anders, wie man denkt. Wichtig ist, dass man offenbleibt und aus der Situation für sich das Beste herausholt.


